Bereits seit den frühen 2000er Jahren prägt der Begriff „Ne(x)t Generation Learning“ die Veränderungen der webbasierten Lernportale. Schon damals stand das Ziel im Raum, eigenverantwortliches Lernen zu ermöglichen bzw. zu unterstützen und die immer breiteren und vielfältigeren (neuen) Möglichkeiten von digitalen Medien zu berücksichtigen. Für die Unterstützung dieser stetigen Veränderungen für Lernende, Lehrende und Lern- bzw. Lehrkonzepte war und ist auch heute noch eine Neukonzeption bzw. Anpassung der an Hochschulen eingesetzten Systeme zur Organisation von Lehr- und Lernmaterialien und -vorgängen notwendig. In der frühen Phase der Einführung des elektronischen Lernens (eLearning) wurden vor allem die Entwicklung und Verteilung von einzelnen (webbasierten) Lernbausteinen und in der jüngeren Vergangenheit die Integration von umfassenderen (Lehr-)Lern-Plattformen in die IT-Infrastruktur von Hochschulen unterstützt. In Folge der technischen Entwicklungen und zunehmenden Verfügbarkeiten zur Durchführung von bspw. Unterrichtsbeobachtungen mit Hilfe von Videografie besteht die Notwendigkeit, neue Konzepte und Dienste für webbasierte Lehr-Lern-Plattformen zu entwickeln. Mit einer solchen Plattform soll das selbstgesteuerte Lernverhalten und der damit einhergehende Professionalisierungsanspruch des Lehrer:innenberufes weiter unterstützt werden. Damit dem Anspruch und der Forderung nach einer höheren Diversifizierung begegnet werden kann, wurde im Projekt eine eigene Lehr-Lern-Plattform entwickelt, die die Studierenden als Hauptadressat:innen bei der Unterrichtsanalyse und -reflexion systematisch unterstützen soll.

Die Lehr-Lern-Plattform soll unterschiedliche Funktionen erfüllen: Hierzu gehören zum einen die Bereitstellung von grundlegenden Informationen zum Projekt sowie die Darstellung der theoretischen Ausgangslage zu kognitiver Aktivierung und Deeper Learning sowie zu ihren fachspezifischen Ausgestaltungen. Zum anderen liegt der Fokus der Lehr-Lern-Plattform auf der Zurverfügungstellung von Werkzeugen zur Analyse der im Rahmen der Lehr-Lern-Forschungslabore aufgezeichneten Videoaufnahmen und eingesetzten Materialien. Dafür steht von Fachdidaktiker:innen und Bildungswissenschaftler:innen redaktionell ausgewähltes Videomaterial sowie auch das vollständige Material der eigenen Erprobungen zur Verfügung. Für den Einsatz in Lehrveranstaltungen werden individuell an das Format der Veranstaltung anpassbare Workspaces angelegt.

Um die Videoanalyse auf der Lehr-Lern-Plattform technisch adäquat umsetzen zu können, wurde in enger Kooperation mit dem Zentrum für Datenverarbeitung (ZDV) der Universität ein entsprechendes Video-Plugin (siehe Abbildung 1) entwickelt, das sowohl die eigenständige wie auch die kooperative systematische kriteriengeleitete Video- und Transkript- sowie Arbeitsblattanalyse als auch die anschließende Auswertung auf der eigenen Nutzer:innenoberfläche ermöglicht.


Ausschnitt web-basiertes Video-Analysetool


Ziel dieser intensiven Analysearbeit ist es, lernwirksame Unterrichtsmomente zu erkennen und zu analysieren sowie alternative Handlungsoptionen bestimmen zu können. Dieses Konglomerat aus Kompetenzen gilt als entscheidendes Merkmal für professionelles Lehrer:innenhandeln.

Zum ersten Mal eingesetzt wurde die Lehr-Lern-Plattform in einem Seminar der Fachdidaktik Physik. Im Zentrum der Lehrveranstaltung standen Analyse, Konzeption, Durchführung und Evaluation eines forschend-entwickelnden naturwissenschaftlichen Unterrichts, der für Schüler:innen sowohl kognitiv aktivierend sein als auch zum vertieften Lernen anregen sollte. Diesen Herausforderungen begegneten die Studierenden zuerst in videografierten Unterrichtsminiaturen auf der Lehr-Lern-Plattform und anschließend in eigenen Praxiserfahrungen in konkreten Lehr-Lern-Situationen.

17 Studierende nahmen an der Veranstaltung teil und setzten sich über mehrere Sitzungen mit den Themen Unterrichtsbeobachtung und systematischen, kriteriengeleiteten Videoanalyse auseinander. Nach theoretischen Inputsitzungen konnten die Studierenden, zunächst in Einzelarbeit, auf der Lehr-Lern-Plattform die Aufnahmen einer Experimentierstation aus dem Jahre 2019 zum Thema Elektromotor sichten und anschließend interessen- und kriteriengeleitet zu sechs zur Auswahl vorgegebenen Themenkomplexen analysieren. Hierbei untersuchten die Studierenden bspw. den Einsatz von Fachsprache, die Phasierung der Unterrichtsabschnitte (bspw. Experimentierphase, Ergebnissicherung) oder die personale und materiale Unterrichtsgestaltung durch verbale Impulse sowie die Gestaltung von Arbeitsaufträgen und Materialien durch die Lehrperson. Anschließend fanden sich Studierende mit gleichem Analysefokus bzw. ähnlichen thematischen Schwerpunktsetzungen in Tandems zusammen und diskutierten ihre Ergebnisse sowohl untereinander als auch gemeinsam mit dem Plenum (Analyse fremder Unterricht). Die Ergebnisse der Analysen und Diskussionen flossen in die Konzeption und Ausgestaltung des eigenen naturwissenschaftlichen Unterrichts ein, der wiederum aufgezeichnet und kriteriengeleitet analysiert wurde (Analyse eigener Unterricht). Ziel dieses Reflexionszyklus' ist die Förderung der Analysekompetenz und die Entwicklung eines reflexiven Habitus, was vor allem durch den Transfer der Ergebnisse der Analyse fremden Videomaterials auf das eigene Unterrichtshandeln erfolgen soll.

Die Lehr-Lern-Plattform eignet sich nicht nur für den Einsatz in der Hochschullehre, sondern bietet ein umfassendes empirisches Datenmaterial für die Anfertigung von Abschlussarbeiten. Im Sommersemester 2021 konnten bereits sechs Bachelorarbeiten erfolgreich beendet werden, in denen fremder Unterricht aus verschiedenen Perspektiven und unter verschiedenen Fragestellung systematisch analysiert wurde. Darüber hinaus stellt die Lehr-Lern-Plattform speziell konzipierte Lerneinheiten bereit, wie etwa Übungsmodule zu den Themen Unterrichtsbeobachtung oder kriteriengeleitete systematische Videoanalyse, die das eigenständige und selbstverantwortliche Lernen außerhalb von Lehrveranstaltungen unterstützen. Die Module enthalten zudem neben weiterführender Literatur auch Übungseinheiten zur Überprüfung des eigenen Lernerfolgs in Form von Tests oder Quizzes und konkrete Beobachtungsaufträge. Im Zuge der letzten zwei Jahre haben mehr als 1700 Lehramtsstudierende die Plattformstrukturen genutzt.

Die Lehr-Lern-Plattform bietet somit ortsunabhängige, stets verfügbare Lerninhalte, die sich unter anderem auch für Blended Learning und/oder Flipped Classroom-Konzepte eignen. Durch eine strukturierte Einführung und Unterstützungen wird den Nutzer:innen eine bestmögliche Partizipation an und mit den Themen ermöglicht.

Ein weiteres Ziel der Lehr-Lern-Plattform ist die Vernetzung aller Akteur:innen der Lehrer:innenaus- und -weiterbildung. Hierzu sollen perspektivisch webbasierte soziale Netzwerke aufgebaut, integriert und verstetigt werden. Diese Bausteine ermöglichen den gemeinsamen Austausch über theoretische, empirische und didaktische Konzepte, methodische Zugänge, Ergebnisse eigener und fremder Videoanalysen und individuelle Rückmeldungen, die die Nutzer:innen bei der Erschließung der Inhalte unterstützen.

Die Lehr-Lern-Plattform wird im Hinblick auf Nutzer:innenfreundlichkeit und ihre Wirksamkeit valuiert. Dabei werden sowohl die Struktur der Module, die technische Umsetzung, die Erfahrungen der Studierenden und Lehrenden mit den angebotenen Tools als auch der Lernerfolg und die Kompetenzsteigerung untersucht.


Einblicke in die Plattformarbeit: