In den Bildungswissenschaften stehen die Merkmale von Unterrichtsqualität aus allgemeindidaktischer Perspektive im Vordergrund mit dem Ziel, angehende Lehrkräfte bereits während der ersten Phase der Lehramtsausbildung mit Hilfe von systematischer und kriteriengeleiteter Beobachtung und Beurteilung von videografierten Unterrichtssequenzen für praxisrelevante Qualitätsmerkmale zu sensibilisieren und ihre Professionalität zu steigern. Dies wird anhand enger Kooperationen auf mehreren Ebenen mit den Fachdidaktiken (insbesondere Englisch, Franzöisch, Geschichte, katholische Religion, Musik, Spanisch, Physik) systematisch umgesetzt. Auf struktureller Ebene sind die bildungswissenschaftlichen Seminare im Bachelor und im Master mit den fachdidaktischen Veranstaltungen sowohl inhaltlich als auch methodisch gekoppelt



In der zweisemestrig angelegten Forschungswerkstatt etwa steht die Reflexion und Interpretation videografierter Unterrichtssituationen im Fokus, mit dem Ziel, Studierenden ein vertieftes Verständnis von Lehr-Lernprozessen zu vermitteln und mit ihnen Handlungsoptionen für die Unterrichtspraxis zu entwickeln. Als theoretische Grundlage dient das Modell des vertieften Lernens. Um der Komplexität des Modells des vertieften Lernens gerecht zu werden, die eine adäquate und adressat*innengerechte Schwerpunktsetzung verlangt, legt das Teilprojekt der Bildungswissenschaften einen besonderen Fokus auf die kognitive Aktivierung, welche als zentraler Teilaspekt des vertieften Lernens verstanden wird. Unter kognitiver Aktivierung wird zum einen der intellektuelle Anforderungsgehalt im Unterricht (Kunter & Trautwein, 2013) und zum anderen die Anregung zu einer vertieften mentalen Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand auf einem für die Lernenden optimalen Niveau verstanden (u.a. Hugener et al., 2007; Klieme & Rakozcy, 2008; Lipowsky et al., 2009). Dies geschieht durch eine komplexe Aufgabenstellung, indem Vorwissen aktiviert wird und die Lernenden angeregt werden, eigene Gedanken, Interpretationen und Lösungen einzubringen, zu begründen und zu vergleichen und neues mit vorhandenem Wissen in Verbindung zu setzen (Hugener et al., 2007; Klieme & Reusser, 2003). Die kognitive Aktivierung ist eng  verknüpft mit der konstruktiven Unterstützung durch die Lehrperson; also wie Lehrpersonen die kognitive Aktivierung im Unterrichtsprozess unterstützen können (z.B. durch Scaffolding, adaptive Unterrichtgestaltung etc.) (Klieme & Rakozcy, 2008; Lipowsky et al., 2009). Die Studierenden entwickeln im ersten Teil der Forschungswerkstatt auf der Grundlage des Modells der Basisdimensionen guten Unterrichts (vgl. Klieme et al., 2006) im Sinne des Forschenden Lernens eigene Forschungsfragen zum Teilaspekt der kognitiven Aktivierung. Nach der Formulierung und Entwicklung von Indikatoren inklusive adäquater Ratingsysteme –  auch bei der angewandten Methodik der indikatorengestützten Videoanalyse wird die Notwendigkeit einer Fokussierung sichtbar, um eine ausreichend tiefe Analyse der Unterrichtsqualität zu ermöglichen –  nutzen die Studierenden diese für die Beurteilung der Unterrichtsqualität anhand des vorliegenden fremden Videomaterials.

In dem zum ersten Teil der Forschungswerkstatt parallellaufenden Seminar der Fachdidaktiken Englisch/Französisch/Geschichte/Katholische Religion/Musik/Spanisch und Physik erhalten die Studierenden die Möglichkeit, das erworbene Wissen in der Praxis anzuwenden. Sie erarbeiten unter dem Aspekt des vertieften Lernens – mit speziellem Fokus auf die kognitive Aktivierung – fachbezogene Aufgabenformate, die sie unter realen Bedingungen in sogenannten Lehr-Lern-Forschungslaboren (LLF) mit Schüler*nnen umsetzen. Dabei berücksichtigen sie, wie eine passende konstruktive Unterstützung im Unterricht aussehen kann. Der Dimension der „kognitiven Aktivierung“ kommt bei der Entwicklung und Erprobung von Aufgaben im Unterricht eine besondere Bedeutung zu. „Kognitive Aktivierung“ beschäftigt sich konkret mit dem fachlichen Lernen und bedarf daher stets einer fachspezifischen Konkretisierung. Es geht um den systematischen Aufbau von Wissen und das Verstehen durch die aktive mentale Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Die Aufgabe der Lehrkräfte besteht darin, den Schüler*nnen ein Angebot in Form von herausfordernden Aufgaben- bzw. Fragestellungen bereitzustellen, das diese anregt, sich kognitiv mit den Lerninhalten auseinanderzusetzen, um so tiefergehende Lernprozesse auszulösen. Jedoch ist nicht die Aufgabenstellung alleine, sondern auch die Form der Begleitung der Aufgabenbearbeitung bedeutsam, um ein hohes Maß an kognitiver Aktivierung zu erzeugen (Lipowsky et al., 2009). Der Einsatz kognitiv aktivierender Aufgaben bietet ein großes Potenzial für die vermehrt geforderte differenzierte Förderung von Schüler*nnen in heterogenen Lerngruppen. Die Wirkung der kognitiven Aktivierung hängt jedoch nicht alleine von der Aufgabe, sondern auch von der Passung der Aufgabe zum Vorwissen und dem Interesse der Schüler*innen ab. Aus diesem Grund ist die diagnostische Fähigkeit von Lehrkräften eine „Schlüsselkompetenz in Lehr- und Lernkontexten“ (Artelt & Gräsel, 2009, 157; Helmke, 2009). Für Lehrkräfte gilt es, die Fähigkeiten ihrer Schüler*nnen und die Anforderungen der Aufgaben adäquat einzuschätzen, um eine optimale Passung herzustellen. Trotz der immer wieder kritisierten diagnostischen Fähigkeiten von Lehrkräften, wird der Diagnosefähigkeit in der Lehrer*innenausbildung oft eine zu geringe Bedeutung beigemessen (Karing, 2009). Die Kritik bezieht sich in ähnlicher Weise auch auf die Fähigkeit der Differenzierung mittels Aufgaben (Bos et al., 2003; Solzbacher, 2008). Entsprechend benötigen Studierende zum Aufbau von Fähigkeiten der Diagnostik und des differenzierten Einsatzes von Aufgaben neben fundiertem theoretischem Wissen Möglichkeiten, dieses Wissen in konkreten Unterrichtssituationen anzuwenden und zu reflektieren. Die praktische Anwendung des theoretischen Wissens und damit die exemplarische Erprobung von kognitiv aktivierenden Aufgaben geschieht im Rahmen der LLF und wird mit Hilfe von Videokameras aufgezeichnet und anschließend reflektiert.